Seit Sommer letzten Jahres wurde die Corona-Warnapp installiert, die sich jeder auf seinem Handy herunterladen kann.
Sinn der Warnapp ist es, festzustellen, ob man mit einer corona-infizierten Person eine Begegnung hatte. Die Warnapp zeigt dann ein entweder ein geringes oder hohes Risiko einer Ansteckungsgefährdung an mit Angabe von Verhaltensmaßregeln. Sollte sich eine Person mit dem Coronavirus infiziert haben, dann sollte diese Person das in der Corona-Warnapp einpflegen, um damit andere Personen zu warnen. Die Warnapp soll also Infektionsketten frühzeitig erkennen und dazu beitragen das Pandemiegeschehen zu bändigen.
Hierfür wäre es sinnvoll positive Testergebnisse automatisiert sofort auf einen zentralen Server zu übertragen und zwar auch ohne Einwilligung der Betroffenen. Technisch wäre es laut Experten möglich, aber aus Datenschutzgründen wurde dieses Modell verworfen. Man fürchtete eine Überwachungsdiktatur. Länder wie Taiwan oder Südkorea haben es vorgemacht wie mittels moderner digitaler Technik das Pandemiegeschehen rasch unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Bund und Länder haben in ihren Konferenzen und den nachfolgenden Corona-Verordnungen in Grundrechte wie Berufsfreiheit, Eigentum, freie Religionsausübung und allgemeine Handlungsfreiheit eingegriffen. Hinsichtlich der Corona-Warnapp und des automatisierten Gewinns von Informationen hält man sich wegen Datenschutz allerdings auffallend zurück.
Den Begriff „Datenschutz“ kennt das Grundgesetz nicht. Es geht nicht um den Schutz beliebiger Daten, sondern um den Schutz des Grundrechts auf allgemeine Selbstbestimmung (Art. 2 Grundgesetz). Das Bundesverfassungsgericht hat den Datenschutz in Art. 2 II GG i.V.m. Art. 1 I GG „hineingelesen“ und somit zum Verfassungsrang erhoben. Jeder Bürger soll im Grundsatz selbst bestimmen können, was mit seinen personenbezogenen Daten geschieht. Dieser Grundsatz oder dieses Grundrecht ist allerdings auch Grundrechtsschranken unterworfen, d.h., Grundrechte können durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.
Ein einfaches Beispiel: Im deutschen Straßenverkehrsrecht gilt das Rechtsfahrgebot. Wenn jeder sich dafür entscheiden könnte, ob er links, rechts oder in der Fahrbahnmitte Autofahren würde, dann würde Chaos mit unzähligen Toten und schwerverletzten Personen im Straßenverkehr herrschen. Also musste die allgemeine Handlungsfreiheit durch das Straßenverkehrsgesetz und der Straßenverkehrsordnung dahingehend eingeschränkt werden, dass für Autofahrer ein Rechtsfahrgebot gilt.
Ein weiteres Beispiel: Auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) ist ein hohes Gut von Verfassungsrang. Es findet jedoch dort seine Grenzen, wenn eine Meinung in die Beleidigungstatbestände der §§ 185 bis 187 StGB fällt. So wird also die Meinungsfreiheit durch Strafrechtsgesetz rechtmäßig eingeschränkt.
In den Datenschutz als in das Recht auf allgemeine Selbstbestimmung hineingelesenes Grundrecht kann nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden (Art. 2 II GG). Das hier in Frage kommende Gesetz ist die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die auch in der Bundesrepublik Deutschland Gesetzeskraft hat.
Der Grundsatz der Unzulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten findet gem. Art. 9 II i DSGVO dann eine Ausnahme, wenn die Verarbeitung aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie dem Schutz vor schwerwiegenden Gesundheitsgefahren erforderlich ist. Das Auftreten von Pandemien wird eindeutig hierunter gesehen.
Auch das Vorliegen eines erheblichen öffentlichen Interesses i.S.v. Art. 9 II g DSGVO wird als Legitimationsgrund für eine Datenverarbeitung angesehen. Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus mit Millionen von infizierten Menschen und mehr als eine Million Todesfällen rechtfertigt ein erhebliches öffentliches Interesse an der Datengewinnung und –verarbeitung mit dem Ziel die Pandemie weltweit zu beherrschen und somit das Virus wirksam einzudämmen.
Hier stoßen die Grundrechte von Schutz und Leben und körperlicher Unversehrtheit mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zusammen. In einer solchen Grundrechtskollision muss ein angemessener Ausgleich zwischen den Grundrechten gefunden werden (praktische Konkordanz). Der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit ist hier höherrangig anzusehen und eine wirksamere Corona-Warnapp wäre datenschutzrechtlich nach diesseitiger Ansicht zulässig. Die Datengewinnung und-verarbeitung sollte aber nur von Fachpersonal vorgenommen werden, welches zuvor auf die Datenschutzbestimmungen vereidigt wurde.
Die Einschränkung des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit durch eine oben beschriebene wirksamere Corona-Warnapp wäre nach diesseitiger Auffassung zulässig.
Ein letztes Wort: In den sozialen Netzwerken geben wir freiwillig mehr persönliche Daten frei als für eine wirkungsvollere Corona-Warnapp erforderlich wären.
HK 23.1.2021